Februar, der Sturmwind hat nachgelassen, ein winterlich graukalter Tag macht sich breit, die Krokusse auf der Krokuswiese knicken um, im Sessel am Feuer lese ich die Rezension eines Buchs mit dem Titel „Unconformities“ über die Brüche, denen man im Leben ganz unverhofft ausgesetzt ist. Bruce Springsteens Zeile (aus „When you’re Alone“) fällt mir ein: „But there’s things that’ll knock you down you don’t even see coming“, und dann denke ich auch an James Hutton, der mit seiner dauernden Suche nach „Unconformities“ im Gelände Schottlands die Wissenschaft von der Erde – Geologie – begründet hat, aber am meisten denke ich an den Tod meines Grossvaters, den ich nie gekannt habe, weil er im September 1914 in Lothringen ums Leben kam. Eine französische Granate. Übrig blieb meine Grossmutter, die ich nur einmal sehen sollte, weil sie allein sieben Kinder nicht aufziehen konnte und den Jungen, der mein Vater wurde, schon fortgab, als er noch klein war. Man glaubt es kaum: Wie leicht der Boden unter unseren Füssen aufreisst, und wie wir über zwei-drei Generationen hin flicken und bauen, bis wir die Dinge aufs Neue bis zum Horizont zu überblicken meinen und die allmähliche Anhäufung unserer Erfahrungen wieder als tragfähigen Boden unter unseren Füssen wahrnehmen. Als ob wir Sedimente bilden. Sedimente aus Büchern, Kleidern und Möbeln, Sedimente aus Erinnerungen (die wir öfters drehen und wenden, wie ein Weinsammler im Weinkeller seine kostbaren Flaschen) und aus Erwartungen. So lange das, was kommt, unseren Erwartungen konform ist, häuft sich Schicht auf Schicht und Generation folgt auf Generation. Muster, die dem nicht konform sind, kommen meistens durch Katastrophen zustande. In der Geologie bezeichnet das von Hutton geprägte Wort Unkonformität (Fachjargon: „stratigraphische Diskordanz“) eine Stelle, an der Gesteinsschichten, statt übereinander in einer Richtung zu liegen (wie man es erwarten sollte), im rechten Winkel aufeinander treffen, oder, statt zu liegen, wie Bücher im Regal nebeneinander stehen.

Ich erinnere einen Sommersonnentag voll süssen Nichtstuns am Morsum-Kliff auf Sylt. Morgens war ich dort angekommen, um den berühmten geologischen Aufschluss zu sehen, aber die Magie des Ortes fing mich ein, und so blieb ich bis zum späten Nachmittag, wanderte an den bunten Schollen hin und her, bewunderte das Farbmuster von einem Sitz im Heidesand an der Oberkante herab und watend vom flachen Wasser des Wattenmeers aus, mit Blicken eines Malers und eines Liebhabers von Erdaufschlüssen. Die tiefdunkle Ostscholle ist die älteste: Sie entstammt dem schwarzen Tonboden der Ur-Nordsee und ist an die zehn Millionen Jahre alt. Daneben sitzt eine Schicht aus weiss leuchtendem Glimmerfeinsand (8 Mio. Jahre), und weiter daneben braunroter Sand aus dem Flachwassermeer (6 Mio. Jahre), der wiederum von hellbeigen Feinsanden abgelöst wird, die sich vor 4 Mio. Jahren abgelagert haben. Gegen Ende des Kliffs, wo die jüngsten Schollen liegen, erhebt sich eine Schicht weisser Kaolinsande, die während der ersten Eiszeit vor zwei Mio. Jahren von grossen Flüssen auf das ausgetrocknete Land transportiert wurden. Und schliesslich steht da noch eine brandrote Scholle aus Eisen verkittertem Kaolinsand. All diese Schichten lagen einst hübsch übereinander so, wie sie sich als Sedimente der verschiedenen erdgeschichtlichen Phasen abgesetzt hatten: Aus dem endlosen Sandgeriesel, das Schichten aufschüttet, die sich verhärten und nach dem Absinken in die Erdkruste zu Sandstein versteinern, der harmonischen Idee vom Kreislauf der Gesteine konform. Aber so weit ist es beim Morsum Kliff nicht gekommen, oder genauer, noch nicht gekommen. Denn bei der Saale-Kaltzeit, einer der jüngeren Eiszeiten vor lediglich 120 000 Jahren, schob sich von Norden her eine Gletscherzunge unter die aufgeschichteten Ton- und Sandsedimente und kippte sie an dieser Stelle so weit, dass sie wie Bücher im Bücherregal nebeneinander zu stehen kamen und heute uns zur Freude einen farbig gestreiften Aufschluss der jüngsten Erdgeschichte bieten. Bemerkenswert ist die Decke aus Heide überwachsenem Sand, die sich inzwischen horizontal über den vertikal stehenden Schollen ausgebreitet hat: Sie repräsentiert die Zeit der Menschen, das Holozän, und lädt mich dazu ein, mir die Karten vorzustellen, die unsere Vorfahren jener Zeit im Kopf hatten, als sie auf dem Weg von Doggerland nach Dänemark das breite Urstromtal mit seinen vielen Sandinseln und Rinnsalen überquerten.

Die Wissenschaft von der Geologie untersucht das Zustandekommen der vielen Gestalten des Landes im Lauf der Erdgeschichte hin, die sich über Zeiträume von eigentlich unvorstellbarer Länge erstreckt. Die Geschichte der Geologie selbst dagegen ist ziemlich neu. Von vereinzelten früheren Spekulationen abgesehen – Leonardo da Vinci nahm die Fossilien im Gebirge als Beweis dafür, dass sich dort einmal das Meer erstreckt haben müsse -, hebt die Geologie erst im 18. Jahrhundert an. Am Anfang steht als vielleicht wichtigste Persönlichkeit ein schottischer Farmer, der Steine liebte, namens James Hutton. Auch wenn die Paraphernalien auf seinem unten eingesetzten Porträt vor allem Papier und Gänsekiel zeigen, die damals zum Image des Forschers gehörten wie das Stethoskop zum Arzt, so belegen doch die vorn rechts auf dem Tisch gesammelten schönen Fossilien auf Kalk- und Schieferplatten, dass James Hutton (1726 – 1797) sich mit der Erdgeschichte befasste. Er war einer jener frühen Naturforscher, die ihre Erkenntnisse eher aus Beobachtungen der Natur selbst als aus der Lektüre von Büchern gewannen. Und er war ein Einzelgänger, der lange Stunden mit dem Beobachten der Sandbewegungen an den Küsten verbrachte. Dabei wurde ihm immer klarer und gerann schliesslich zur Gewissheit, dass die Prozesse, die heute wie eh und je dazu führen, dass sich Sandbänke bilden und zu Schichten türmen, schon immer im gleichen gemächlichen aber unaufhaltsamen Tempo am Werk waren: Wir leben im selben Zeitfluss, der das Gesicht der Erde von Anfang an geprägt hat. Dieser Gedanke liefert einen Schlüssel zur Berechnung der Zeitdauer für den Aufbau beispielsweise einer Sediment-Scholle. Rasch kamen die Geologen, die sich in der Nachfolge Huttons an die Arbeit machten, auf diesem Wege zu Zeiträumen von unvorstellbar weiter Ausdehnung, denen gegenüber die (am Ende des 18. Jahrhunderts) aktuellste Berechnung des Alters der Erde auf der Grundlage von Bibelquellen (der Chronologie des irischen Prälaten James Ussher zufolge waren seit Erschaffung der Welt sechstausend Jahre vergangen) geradezu lächerlich erschien.

Die Ablagerung von Sedimenten war die eine Kraft, die das Gesicht der Erde gestaltete; die andere musste aus dem Erdinnern kommen. Hutton war sich sicher, dass die ungeheure Hitze, die dort herrschte, die Oberfläche des Landes durchbrechen und anheben und auftürmen konnte. Er war sich sicher, aber wie sollte er die Hypothese beweisen? Er suchte nach Stellen, an denen das gleichförmige Muster der Sedimente unterbrochen war. Dort, wo das Land der Vorstellung einer endlosen Aufschichtung gewissermassen selbst widersprach und vor aller Augen ein erklärungsbedürftiges Rätsel hinstellte, bot sich das stärkste Indiz für das Wirken jener Kräfte aus dem Erdinnern. Hutton suchte nach „unconformities“.

Einen bilderbuchartig schönen Beleg bot der Aufschluss des Geländes, den er beim Städtchen Jedburgh ausmachte. Auf der Zeichnung seines Freundes John Clerk aus dem Jahr 1787 sehen wir die Vegetation und die Strasse mit Kutsch- und Reitverkehr auf der Oberfläche, darunter ein Flöz horizontaler Sediment-Schichten, unterlagert von einem schmalen, ungleichmässigen Band von Gesteinstrümmern (Brekzien), unter denen ziemlich vertikale Säulen einer umgeklappten oder aufgestauchten Sedimentschicht stehen. In der Tat eine Unkonformität, die nach Erklärung heischt, zumal sie als Verbindung erscheint, aber doch den Abbruch des konformen Fortgangs dokumentiert.

Im Juni 1788 fuhr Hutton mit zwei Freunden auf einem Segelboot an der schottischen Ostküste entlang und gelangte an einer Stelle namens Siccar Point zu einer freigespülten Felsenformation, die er auf Anhieb als Bindeglied von zwei weit auseinander liegenden Gesteinsbetten las. Die vertikal stehenden Schichten aus grauem Gestein rechts auf dem Foto zeigen Lücken wie ein Rippenkamm, weil das graue Schlammsediment in den Zwischenschichten teilweise herausgespült wurde, und die Bruchstücke aus festem Grauwacke-Stein, die damals mit dem Schlamm in die Tiefsee absanken, zu den Zwischenschichten mutierten, die dem Zugriff der Erosion länger standhalten. Diese graue vertikale Rippenformation, so hat man inzwischen ermittelt, entstand im Erdzeitalter namens Silur vor 435 Millionen Jahren. Im Lauf der folgenden 65 Millionen Jahre verschwand jenes alte Meer, Berge türmten sich beim Zusammentreffen der Kontinentalschollen allmählich auf und stellten die Gesteine aus dem Boden des alten Meeres senkrecht. Die folgenden 75 Millionen Jahre haben bei dieser Unkonformität keine Spuren hinterlassen. Während des späten Devon-Zeitalters vor 370 Millionen Jahren war die Stelle der Erdoberfläche dann ein flaches tropisches Meer südlich des Äquator (!: der Äquator wandert, nicht die Stelle, die heute „Siccar Point“ heisst), der Regen wusch Sande voller Eisenoxid in die Flüsse, und auf dem Meeresgrund entstanden Flöze von rotem Sandstein und einer geschätzten Mächtigkeit von 170 Metern. Diese rote Sandsteinschicht lag über dem älteren grauen Rippenkamm, wurde mit ihm emporgehoben und zu einem leichten Gefälle verkantet und im Lauf der Zeit dann von Wasser und Wind so weit abgetragen, dass die grauen Rippen unter der roten Decke zum Vorschein kommen, wie am Siccar Point zu sehen ist.
Hutton entdeckte 1788 auf einer der senkrechten grauen Platten deutliche Rippelmarken: Den Beweis dafür, dass sie einst als waagerechte Sandschicht unterm Wasser des Ozeans lagen. Er war von der Schönheit des Aufschlusses hingerissen. Sein Freund John Playfair beschrieb die Situation aus seiner Sicht Jahre später in einem Beitrag für die Royal Society of Edinburgh: „Wir fühlten uns in eine Zeit zurück versetzt, als die Ablagerungen, auf denen wir standen, noch auf dem Boden des Meeres lagen, und als der Sandstein vor uns gerade abgelagert zu werden begann in Form von Sand und Schlamm aus den Wassern des superkontinentalen Ozeans. Dem Verstand wird schwindlig bei diesem so weit reichenden Blick in den Abgrund der Zeit. Und während wir den Ausführungen des Philosophen ernsthaft und voller Bewunderung folgten, der uns die Ordnung und Reihenfolge dieser wunderbaren Ereignisse entwickelte, wurde uns doch auch bewusst, wie viel weiter der Verstand reicht als die Vorstellungskraft ihm zu folgen vermag.“ (John Playfair (1999). „Hutton’s Unconformity“. Transactions of the Royal Society of Edinburgh, vol. V, pt. III, 1805, quoted in Natural History, June 1999, Übers. H.S.)
„Schwindlig“ (englisch „giddy“) wird dem Verstand beim Blick in den Abgrund der Zeit, den die Geologie öffnet. Vielleicht wäre dieser Blick weniger abgründig, wenn er auf Spuren von uns Menschen oder wenigstens von menschlichen Vorfahren träfe. Mr. Playfair hätte es wohl wie die meisten von uns erfreulich gefunden, wären auf den grauen Platten aus dem Silur nicht nur Rippelmarken zu sehen gewesen, sondern auch menschliche Fussspuren. Mir fallen Fotos der (20 Meter) langen Reihe von Fussabdrücken ein, die von Verwandten aus der frühen Menschenfamilie stammen, Australopithecus afarensis. Die Spuren waren 1978 in einer Vulkantuffschicht entdeckt worden. Vor 3,6 Millionen Jahren hatte sie – neben anderen – eine Frau namens „Lucy“ in die vom Regen verschlammte Asche des Sadiman-Vulkans gedrückt. Annie Dillard bemerkt dazu, dass wir Heutigen nichts herstellen können, das derart lange erhalten bleiben wird wie diese Spuren. Nach drei oder vier Millionen Jahren wird in der Tat wohl alles von uns und unseren Hinterlassenschaften verschwunden sein, glücklicher Weise sogar das Meiste der radioaktiven Abfälle aus unseren Kraftwerken und Waffensystemen. Unter geologischer Perspektive sind solche Zeiträume allerdings ohnehin eher rezent im Sinne von „kürzlich“, „fast noch gegenwärtig“. Sie umfassen gleichsam nur den gestrigen Tag, während die ganze Geschichte in graue Vorzeiten reicht. Unsere Gattung, unsere Art kommt vorgestern noch gar nicht vor.
Womöglich hängt das Schwindelgefühl, das uns angesichts der geologischen Zeit befällt, weniger mit dem schieren Ausmass der gemessenen Zeit als vielmehr mit dem plötzlichen Auftauchen der Gewissheit zusammen, dass da eine von unseren Angelegenheiten vollkommen abgekoppelte Zeit besteht, in die wir trotzdem auf irgendeine unheimliche Weise eingebettet sind. Das Andere der Natur erscheint hier in besonders befremdlich anmutender Gestalt. Und dabei laufen die beiden Zeiten – nennen wir sie Erdzeit und Menschenzeit – nicht nebeneinander her auf zwei parallelen aber separaten Schienen, sondern stossen an Punkten zusammen, die jeweils eine „Unkonformität“ bezeichnen.
Die geologische Unkonformität setzt bei den Menschen, in deren Leben sie eingreift, eine neue Vorstellung davon frei, was „Zeit“ heisst. In einer Rezension der „New York Review of Books“ lese ich über eine Studie zu dem grossen Erdbeben von Alaska 1964 dazu folgende Bemerkung: „Desaster führen zur Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die Gegenwart“, schrieben Quarantelli und Koautor 1975. Der Enthusiasmus, den viele bei dieser Erfahrung plötzlicher Solidarität empfinden, kommt aus dem Gefühl, gemeinsam ausserhalb der Zeit zu stehen: „Sorgen über das Vergangene und das Zukünftige sind unrealistisch, verglichen mit den realen Gegebenheiten des Augenblicks.“ Desaster mischen und verwerfen nicht nur Sedimentschichten, Kanten tektonischer Platten, Gebäude und Felsen, sondern auch individuelle Leben. Sie streifen die Illusionen ab – Illusionen, die tröstlich und unbehaglich zugleich sind – , dass morgen so sein wird wie heute, dass der Boden unter unseren Füssen stabil ist, dass wir mit unseren Mühen allein sind. Und sie erinnern uns daran, dass Instabilität, Bruch und Umbruch die Voreinstellung der Welt sind, und dass wir alle – immer – in dieser Prekarität miteinander verbunden sind. Ein Überlebender des Erdbebens erklärte fünfzig Jahre später: „Sogar jetzt blicke ich auf den festen Boden vor meinem Fenster und weiss, dass er nicht permanent so ist. Er kann sich jederzeit ändern. Er bewegt sich ja. Alles bewegt sich.“ (Jonathan Mingle: The Unimaginable Touch of Time. In: New York Review, Feb. 10, 2022, p.40. Übers. H.S.)
Noch einen Schritt weiter, so scheint mir, geht Hugh Raffles, der Verfasser des zweiten in der gleichen Rezension besprochenen Buchs „The Book of Unconformities: Speculations on Lost Time“ (Pantheon 2022). Für ihn ist Unkonformität nicht ans Geologische gebunden, sondern ein gewissermassen anthropogenes Moment, das im Leben der Menschen aufreisst und den gewohnten Verlauf wie durch ein Loch aufbricht: „Auch das Leben ist voller Unkonformitäten – die Löcher in der Zeit aufdecken, welche auch Brüche im Fühlen, Wissen und Verstehen sind; Löcher, die unablässig menschliches Untersuchen und Vorstellen auf sich ziehen, aber sich zugleich der Konformität und dem Heilen oder der Erklärung im Sinn unserer Wünsche oder dem verweigern, was wir zu brauchen meinen.“ (p. 41, Zitat aus Hugh Raffles: The Book of Unconformities: Speculations on Lost Time.)
Raffles scheint hier das Wort „Unkonformität“ aus der Geologie zu borgen und auf persönliche und historische Zusammenhänge zu übertragen, aber in den Geschichten, die er studiert und erzählt, nehmen Steine stets eine Schlüsselrolle ein. Die stehenden Steine von Stenness auf der grössten der Orkney-Inseln, mit dem Fenster im Odin-Stein, das den Blick in die andere Welt frei gab, bis der Stein 1814 von einem Farmer in die Luft gesprengt wurde; die „Blubbersteine“ von Spitzbergen, auf denen Walfänger in Kupferkesseln Waltran auskochten und die Wal-Industrie vor Beginn des 19. Jahrhunderts in Gang brachten; die eisenhaltigen Meteorsteine von Savissivik auf Grönland, von den Inughuit geschätzt und zu Harpunenspitzen verarbeitet, bis die Weissen, die dort zuerst im Jahr 1818 auftauchten, die Eingeborenen mitsamt ihren Meteorsteinen in Besitz nahmen; die Stehenden Steine von Callanish auf der Insel Lewis in den Äusseren Hebriden, – auf einem Hügel nicht weit von dem Haus, in dem seine tote Schwester in den Siebzigerjahren lebte, spekuliert Raffles darüber, ob der grosse Gneiss-Felsen einst das heilige Zentrum von Callanish war: „Noch eine weitere Weltachse, die Welten miteinander verbindet, heute so ungreifbar wie vor fünftausend Jahren; so unfassbar und unermesslich – aber nicht unermesslicher als die fünfundzwanzig Jahre seit dem Tod meiner Schwestern. Ich stehe an der Kante der Zeit, ich fühle, wie sie durch mich hindurchspülen. Wenn sich diese Spalte doch weit öffnen und auch mich verschlingen würde. Wenn ich doch die erforderlichen Rituale kennen würde. Etwas Zerbrechliches ist zerbrochen. Eine Gewissheit, eine Zuversicht, die in der Welt war, und ich habe davon nicht einmal gewusst.“ (p. 42)
Raffles Worte berühren mich, die ihnen innewohnende Geste berührt mich, weil er sich keinem der üblichen hilflosen und peinlichen Rekurse überlässt – das ewige Gedenken oder „das einzig Bleibende, der einzige Sinn, die Liebe“ (Thornton Wilder am Ende von „Die Brücke von San Luis Rey“). Die Nadel meines Bullshit-Detektors zittert nicht einmal. Mein Grossvater hiess David Ludwig Schreier. Es gibt ein Foto, er sitzt mit anderen Rekruten vor einer Holzbaracke, die meisten lachen in die Kamera und heben ein Bierglas. Ich stelle mir meinen Grossvater als glücklichen jungen Mann vor.